Interview mit zwei Focusing-Teilnehmenden
Focusing: Körpersignale als Ressource
Seit 2019 bietet das Lassalle-Haus eine Focusing-Ausbildung an. Focusing ist eine Methode der inneren Aufmerksamkeit und Entschleunigung, um wieder in Tuchfühlung zu kommen mit dem Wahrnehmen und dem körperlichen Erleben, die den Alltag reich machen. Die Schritte des Focusings lehren, dass die gerichtete Aufmerksamkeit und die stimmige Formulierung komplexe Situationen, Themen oder Dilemmas klarer machen können, als man sich vorstellen kann. Körperliches Empfinden, Gefühl und momentanes Erleben werden so les- und ausbuchstabierbar, wobei sie als wertvolle und naheliegende Wegweiser zu entdecken sind.
Verena Gysin Felber und Michael Felber besuchen den Kurs seit letztem Juli und schauen auf bewegende Kurstage zurück – wir haben das Ehepaar zu seinen Erfahrungen mit Focusing befragt.
Was war Ihre Motivation für diese Ausbildung?
VG: Ich hatte in erster Linie das Bedürfnis, etwas für mich zu machen, meinen persönlichen Handlungsspielraum zu erweitern. Gleichzeitig erhoffte ich mir auch Inspiration für meine berufliche Tätigkeit.
MF: Meine Partnerin hat mich auf den Kurs aufmerksam gemacht. Als ich die Ausschreibung las, fühlte ich mich angesprochen, weil Focusing den Zugang zum Lernen primär über den Körper und weniger über den Kopf sucht.
Sie, Frau Gysin, sind Coach, Mediatorin und Trainerin für gewaltfreie Kommunikation: Was hat Focusing, was Ihnen in Ihrem bisherigen Werdegang noch nicht begegnet ist?
Die Aufmerksamkeit, welche Körperwahrnehmungen geschenkt wird, sozusagen als erweiterter Resonanzraum, ist eine wertvolle Ergänzung zu den Themen, die mir bis anhin begegnet sind. Selbstverantwortliches Handeln bedeutet für mich, meine eigenen Gefühle und die damit verbundenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Mit Focusing stehen mir dafür vielschichtigere Informationen zur Verfügung.
Ihre Bereiche, Herr Felber, sind Projekte im kulturellen Umfeld sowie Rechts- und Organisationsberatung: wo soll Sie hier Focusing weiterbringen?
Ich erhoffe mir eine umfassendere Präsenz und Sensibilisierung im Umgang mit mir selbst, mit Menschen, Ideen und Situationen.
Wie ist es, als Paar diese Ausbildung zu machen?
VG: Absolut bereichernd! Nicht etwa, weil wir hier allfällige Paarthemen aufnehmen können, sondern weil wir eine Methode lernen, welche uns individuell weiterbringt, was sich wiederum auf unsere Beziehung auswirkt. Wir lernen gemeinsam, können uns über Erlebtes austauschen und erleben uns gegenseitig in einer Lerngruppe.
MF: Wie Verena ausführt, haben wir uns nicht „als Paar“ angemeldet. Interessant ist es aber zu erkennen, mit welch unterschiedlichen „Massstäben“ ich (unbewusst) zuhöre, wenn ich im Focusing begleitet werde. Tut dies Verena, so „poppen“ da sehr schnell Muster auf, die sich erkennen und eventuell auch ändern lassen. Letzteres tönt allerdings leichter, als es in Wirklichkeit ist.
Hat sich seit Beginn der Focusing-Ausbildung bei Ihnen etwas verändert?
VG: Wir sind ja erst in der Mitte des Kurses. Ich stelle fest, dass mir mehr Ressourcen zur Verfügung stehen. Auch, dass ich in vergangenen Jahren Körpersignale zwar wahrgenommen aber ihnen zu wenig Beachtung geschenkt und so auch nicht genutzt habe.
MF: „Every-body knows“, erklärte die Kursleiterin im ersten Kursblock, was bei mir grosses Interesse auslöste. Ich beginne zu verstehen, was in diesen drei englischen Worten an Erfahrungswissen aufgehoben ist.
Haben Sie im Kurs Überraschungen erlebt?
VG: Ja, immer wieder! Wobei es weniger Überraschungen sind als vielmehr spannende Fundgegenstände und Kostbarkeiten.
MF: Ja! Trotz aller Ernsthaftigkeit wird auch immer wieder gelacht. Ich fühle mich überwiegend, sei es am Ende einer Einzelübungen oder nach einem Wochenende, bereichert und beschwingt.
Wie wichtig ist das selbständige Üben zwischen den Modulen? Hatten Sie es als Paar einfacher als die übrigen Kursteilnehmer?
MF: Sehr wichtig, vor allem, wenn solche Treffen in verschiedenen Zusammensetzungen stattfinden. Ob das schwieriger oder einfacher ist als Paar, ich weiss es nicht.
VG: Das Üben ist für mich ein sehr wichtiger Bestandteil. Nein, ich glaube als Paar hat man es nicht unbedingt einfacher, im Gegenteil, ich finde es anspruchsvoller, mit meinem Partner zu üben. Als Paar haben wir schon viel gemeinsam Erlebtes und kennen unsere Beziehungsmuster und -dynamiken, beides gilt es sowohl als Focusierende als auch als Begleiterin wahrzunehmen und möglichst auszublenden.
Wie empfanden Sie den Austausch in der Gruppe?
MF: Ich staune, dass sich so unterschiedliche Personen so schnell zu einer „arbeitsfähigen“ Gruppe zusammengefunden haben. Schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass ich gerne mit jeder und jedem Focusing übe.
VG: Die Kurstage sind inspirierend, lehrreich und gleichzeitig auch humorvoll und nährend. Der Austausch in der Gruppe trägt massgeblich dazu bei.
Gab es etwas, was Ihrer Meinung nach zu kurz kam?
VG: Nichts, ich finde es toll, dass wir die Möglichkeit haben, mit verschiedenen Leitungspersonen zu arbeiten. Wir werden so unterschiedlich an die Methode herangeführt, was mein Lernen unterstützt.
MF: Nein.
Wem würden Sie diese Ausbildung empfehlen?
VG: Allen, die sich selber noch besser kennenlernen möchten und ihren Handlungsspielraum selbstverantwortlich erweitern möchten.
MF: Allen, die ahnen oder spüren, dass ihr Körper eine wichtige Quelle und Inspiration für ihre Lebensgestaltung werden kann und dies nicht nur in Momenten mit Schmetterlingen im Bauch oder Druck auf dem Magen.
Die nächste Focusing-Ausbildung startet im April 2020. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.