05.08.2020 16:29
von

Impuls von Reto Bühler

«Alles wirkliche Leben ist Begegnung»

Die Aussage von Martin Buber regt zum Nachdenken an. Sie spricht in die Zeit des Social-Distancing, wo Abstände staatlich vorgeschrieben und Begegnungen teils untersagt wurden. Die einen fühlen sich eingeschränkt, andere entdecken neue Freiheiten. Aktuell zeigt sich, dass wir Menschen soziale Wesen sind und nicht für die Isolation geschaffen. Viele haben die soziale Auszeit aber auch als angenehm erlebt. Für das Alltägliche und Selbstverständliche gibt es plötzlich ein neues Bewusstsein. Beziehungen wurden nach dem Lockdown teils ganz unterschiedlich auf die Probe gestellt. Abhängigkeiten, Synergien, Strukturen und allgemeines Verhalten in Beziehungen wurden sichtbar.

Die Frage nach gelingenden Beziehungen und überhaupt dem guten Leben ist ein Lebensthema. Hartmut Rosa, ein zeitgenössischer Soziologe, geht diesen Fragen nach und inspiriert mit dem Begriff «Resonanz». Bei diesem Begriff kommt mir, als ehemaliger Gitarrenspieler, sofort der Resonanzkörper eines Saiteninstruments als Metapher in den Sinn. Die Saiten einer Gitarre oder Geige werden angeschlagen oder gestrichen und kommen somit in Schwingung. Der Resonanzkörper nimmt diese Impulse auf und lässt sich selbst in Schwingung bringen. Der Klangkörper lässt sich anschwingen bzw. ansprechen und antwortet mit seinem eigenen Erklingen. Analog braucht es in der Begegnung Offenheit, eine Bereitschaft zu «hören». Die Sinne spielen diesbezüglich eine zentrale Rolle. Mit ihnen nehmen wir die Schwingungen auf. Digitale Kommunikationsmittel beschränken sich vorwiegend auf Hören und Sehen, lassen die Begegnung also weniger klingen als wenn zwei Wesen in ihrer ganzen Körperlichkeit aufeinander treffen.

Die Art und Weise, wie wir mit der Welt in Kontakt treten, hat seine Wurzeln in der frühen Kindheit. Unsere Beziehungsstrukturen entstehen in primären Beziehungen; wie zum Beispiel der des Neugeborenen zu seiner Bezugsperson. Dort verortet sich der Anfang von Verhaltensmustern. Die meisten Beziehungen beruhen auf der Basis von Geben und Nehmen. Im Idealfall ist dieser Austausch ausgeglichen. Partnerschaften profitieren von den gegenseitigen Kompetenzen, Qualitäten und Ressourcen. Nicht selten wird dabei der eigene Mangel darin kompensiert. Das ist keineswegs zu kritisieren, aber als Realität nicht auszublenden. Als Beispiel dafür dient das Nicht-Ertragen von Einsamkeit, dem Allein-sein. Es ist oft Grund genug, um eine Beziehung einzugehen. Wo Beziehungen aber statisch oder sogar instrumentalisiert werden, finden keine wahren Begegnungen statt. Man wird nicht mehr berührt, schwingt nicht mehr, klingt nicht mehr. Die Lebendigkeit fehlt, Schmetterlinge verschwinden, Überraschungen und Staunen bleiben aus. Vielleicht gleichen Beziehungen dann eher Verwicklungen oder gar Verstrickungen.

Das Enneagramm wird als Landkarte bezeichnet, welche Beziehungsmuster und Verwicklungsarten beschreibt und einem helfen kann, die eigenen zu erkennen. Das Verstehen des eigenen Beziehungstyps gibt Orientierung. Es hilft aus der Falle, das Gegenüber für das ausbleibende Klingen verantwortlich zu machen. Wenn wir uns immer wieder neu auf das Leben einlassen, bleiben wir im Dialog. Wir lassen uns herausfordern, mit dem eigenen Wesen Antwort zu sein. Dies gilt nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch für den Bezug zu Materiellem oder schlicht der Natur; dem Planeten auf dem wir wohnen.

Gelingende Weltbeziehung oder das gute Leben kann durchwegs als Begegnungsqualität gesehen werden. Im Dialog lassen wir uns auf das Leben ein, bleiben anrufbar, lassen uns herausfordern und werden zum verantwortungsvollen Antwortenden.

Reto Bühler

Reto Bühler ist in seiner Arbeit vorwiegend mit den Menschen in der Natur unterwegs und ist Kursleiter im Lassalle-Haus.
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Das Enneagramm im Lassalle-Haus bieten wir in Form von Grundkursen und einer Vertiefungswoche.


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