Pilgerbericht von Reto Bühler
Über Serbien bis Bulgarien - zu Fuss nach Jerusalem
Diesen Sommer haben wir unterwegs zu Fuss nach Jerusalem die bulgarische Grenze überschritten und sind in Sofia angekommen. Seit 2011 sind wir mittlerweile unterwegs; natürlich in Etappen. Damals haben sich vier PilgerInnen (Esther Rüthemann, Hildegard Aepli, Franz Mali und Christian Rutishauser) vom Lassalle-Haus auf den Weg nach Jersusalem gemacht und sind nach sieben Monaten, pünktlich zu Weihnachten angekommen.
Selber wurde ich gefragt, ob ich das erste Wegstück an die Schweizer-Grenze logistisch unterstützen würde. Knapp vierzig Menschen begleiteten damals die Vierer-Gruppe bis nach Müstair. Meine Motivation das Projekt mitzutragen hat sich seit damals stark verändert. Die Route zu planen, die Unterkünfte zu organisieren, für Verpflegung zu sorgen und das Gepäck zu transportieren machte ich anfangs aus reiner Gefälligkeit für das Lassalle-Haus. Bis dahin sah ich mich nicht als Pilger; obwohl ich mein halbes Leben draussen unterwegs verbringe. Viel eher sah ich mich als Outdoor-Spezialist, Natursportler, einfach Naturliebhaber, unterwegs in den schönsten Naturräumen der Welt; nicht zuletzt in der Schweiz.
Auf dem Weg durch den Balkan hat sich meine Einstellung gegenüber dem Pilgern gewandelt. Ich sehe mich mittlerweile nicht nur als Organisator und Leiter, sondern bin selbst zum Pilger geworden. Dies wird mir erst im Rückblick klar. Wenn ich sonst immer die schönsten Plätze und Wege suche, mich vom Moment leiten lasse, dem Wetter entsprechend meine Route wähle, so bin ich als Pilger ganz anders unterwegs.
Nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Ziel bestimmt den Weg. Egal wie schön die Unterkunft oder der Rastplatz ist; am nächsten Tag ziehen wir weiter. Wie stark ein anderer Weg auch lockt; wir sind immer unterwegs Richtung Jerusalem. Es spielt keine Rolle welches Gesicht uns das Wetter zeigt; wir brechen auf. Über das was Jerusalem in meinem Leben für eine Bedeutung bekommen hat, bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Unterschiedliches verbinde ich damit. Aber ich weiss, in welche Richtung ich gehen möchte und lasse mich dabei nicht ablenken. Ich weiss was mein Ziel als Pilger ist. - Diese Zielstrebigkeit wünschte ich mir manchmal in meinem alltäglichen Leben. Es ist keine verbissene Zielstrebigkeit; dafür ist der Weg zu lange, das Ziel zu weit weg. Mit viel Geduld und Ausdauer sind wir unterwegs. Wir haben auch gelernt, uns aufhalten zu lassen; wenn Menschen ihre Gastfreundschaft zeigen, uns mit Früchten oder Kaffee beschenken oder auch nur das Gespräch suchen. Auch eine schöne Blume oder eine besondere Aussicht ist durchaus ein Grund für eine genussvolle Pause. Es ist kein gestresstes Unterwegssein, kein Spazieren, aber auch keineswegs ein Herumschlendern; es ist eben Pilgern. Ich kann noch so lange der schönen Unterkunft nachtrauern oder zur Gelateria zurück schauen. Wir ziehen auf jeden Fall weiter und lassen uns nirgends festhalten. Alles kommt und geht; wir auch. Darin verbergen sich Lebensmetaphern. Vor allem, wenn ich daran denke, wie ich zu Hause lebe. Da sammelt sich so manches an über die Jahre und ich habe einige Dinge, welche ich sehr ungern loslassen würde. Die Sesshaftigkeit hat seine Vorzüge und eben auch Nachteile.
Das Leben als Pilger ist bescheiden und einfach. Aber erstaunlicherweise scheinen alle sehr zufrieden. Und genau so geht es auch mir. Mir scheint, dass ich zufriedener bin, wenn ich aus allen Unterkünften nicht die beste finden muss. Überrascht bin ich immer wieder, dass ich für ein einfaches Essen ebenso dankbar sein kann wie für eine grosse Speisekarte. Keineswegs sind wir von Problemen befreit. Auch innerhalb der Gruppe gilt es Spannungen auszuhalten, anzusprechen und auszutragen. Nicht selten lachen wir ein paar Stunden später über Erlebtes. Nach dem Regen kommt die Sonne … und umgekehrt. Manchmal gilt es entlang einer grossen Strasse zu gehen, durch eine lärmige Stadt, dann wieder auf verlassensten Pfaden, welche uns selten sogar zu einer kurzzeitigen Umkehr zwingen. Es geht bergauf und bergab. Immer bleiben wir unterwegs, ausgerichtet, möglichst in Verbindung mit dem was im Moment da ist. Immer wieder bekommen wir zu essen und finden jeden Abend ein Bett. Das erfüllt uns mit Dankbarkeit.
Bezüglich der diesjährigen Etappe durch Südserbien und Bulgarien sind wir mit schönen Landschaften verwöhnt worden. Für die kaum besiedelten Gebiete und weiten Feldern mit breiten Blumenstreifen dazwischen finde ich kaum Worte. Ich habe noch nie so viele Schmetterlinge gesehen und bin überwältigt. So freue ich mich dieses Jahr besonders auf das Weiterziehen.
Reto Bühler
Bad Schönbrunn, August 2019
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