Teresa von Avila
Vom Sympathisch-Sein-Müssen
Teresa von Ávila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. – 8. November die Jubiläums-Tagung Genie der Freundschaft. Wir freuen uns über alle, die mehr über diese grosse Persönlichkeit erfahren wollen; es hat noch ein paar Plätze frei.
Wir laden Sie zudem ein, mit Teresa durchs Jahr zu gehen. Jeden Monat finden Sie hier einen Impuls dazu – heute den sechsten von Marianne Hayoz. Sie hat sich im zweijährigen Lehrgang "Christliche Spiritualität" des Lassalle-Hauses und der Universität Fribourg intensiv mit Teresa auseinandergesetzt – und eine echte Freundin und weise Beraterin gefunden. Lesen Sie von Marianne Hayoz' Brückenschlag über die Jahrhunderte hindurch.
"... dass mir die Flügel herunterfallen.“
Ich muss gestehen: Der erste vertiefte Kontakt mit Teresa von Ávila war für mich eine Enttäuschung und zunächst eine Pflichtübung. In den vergangenen zwei Jahren absolvierte ich den Lehrgang „Christliche Spiritualität“ und sollte Teresas selbstverfasste Vida lesen, zu Deutsch „Das Buch meines Lebens“. Doch die vielen verschachtelten Sätze machten mir das Lesen schwer, all die unterbrochenen Gedankengänge durch Einschübe wie Gebete, Detailschilderungen und Einfälle liessen keinen roten Faden erkennen. Ich war eher Zuhörerin einer begnadeten Erzählerin als Leserin einer Autobiographie, der ich gern gefolgt wäre.
Je intensiver ich jedoch eintauchte, desto mehr fühlte ich mich von Teresa angesprochen und mit ihr verbunden; ihr Frausein, ihr Wesen, ihre Ehrlichkeit und Leidenschaft berührten mich. Es kam mir eine sensible, emotionale, selbstkritische, mutige, kluge Frau entgegen – und vor allem auch eine sehr gute Freundin. Ich verfolgte mit, wie Teresa sich von einer jungen, um ihr Aussehen und Ansehen besorgten Frau zu einer starken, selbstbewussten Frau mit einer natürlichen Autorität entwickelte und wie sie als reife Frau während der spanischen Gegenreformation für ihre Überzeugungen einstand. Eine Zeit, die den Frauen keine intellektuellen Fähigkeiten zugestand – es war riskant, eine selbständig denkende und schreibende Frau zu sein. Teresa litt darunter und schreibt: „Im Übrigen reicht es schon, eine Frau zu sein, dass mir die Flügel herunterfallen.“ Und doch hob sie ab, trieb ihre Ideen voran und setzte sie um. Das macht mir auch ein halbes Jahrtausend später Mut und lässt mich neugierig werden. Wie hat sie das geschafft?
Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung war ihre Freundschaft zu Jesus. Umso tragender diese Freundschaft wurde, desto mehr durchdrang sie ihr Leben, prägte ihre Beziehungen und ihr Wirken. Teresa gewann an innerer Freiheit, an Eigenständigkeit und an Ausstrahlung. Sie schildert in ihrer Vida den Weg in diese Freundschaft mit durchlebten Höhen und Tiefen, erzählt uns ehrlich von ihren Schwierigkeiten und Rückschlägen, sich mit ihrem ganzen Sein vertrauend in diese Freundschaft einzugeben und sich ihrem Freund Jesus ganz anzuvertrauen. Ihr Weg führt sie dabei durch viele Jahre der Zerrissenheit zwischen Gott und der Welt. Teresa war eine genaue Beobachterin und erkannte in der Geborgenheit ihrer tiefen Gottes-Freundschaft immer klarer die Ursprünge ihrer inneren Zerrissenheit. Drei von ihr beschriebene Hindernisse möchte ich kurz beleuchten:
Die „honra“ – die Pflicht So-zu-Sein
In ihrer Vida erzählt sie, wie sie nach der Phase ihrer schweren Erkrankung von Zeitvertreib zu Zeitvertreib und von Eitelkeit zu Eitelkeit gelebt habe. Ehre, Ansehen und „weltliche“ Dinge waren Teresa in jungen Jahren sehr wichtig. Prestigedenken ist nicht eine Erfindung unserer Tage, auch in Teresas Zeit waren Status und Prestige sehr wichtig. Die sogenannte „honra“ prägte dabei die Gesellschaft und gab den Massstab vor.
In späteren Lebensjahren sieht Teresa die innere Freiheit des Menschen durch die „honra“ und deren Vorgaben bedroht. So könne der Mensch nicht zu seiner wahren Bestimmung finden; er lasse sich durch die Meinung anderer bestimmen, sei besorgt um seine Habe und baue seine Identität, sein Selbstbewusstsein auf gesellschaftlich herrschenden Normen auf.
Die „falsche Demut“ – leben im Nicht-Genügen
Teresa verbrachte viele Jahre im Streben nach der Gunst anderer. Sie beschreibt, wie fleissig sie als Novizin war und welchen Stellenwert positive Rückmeldungen der Mitschwestern hatten: „Ich genoss, geschätzt zu sein“. Aus Angst, ihre Unwissenheit würde entdeckt, fragte sie nicht nach, als sie die Gebetsordnung zu Beginn nicht verstand. Mit der Zeit erlaubte sie sich nur gerade, die jüngste Mitschwester um Hilfe zu fragen. Ebenso schildert sie, wie sie nur allmählich zugeben konnte, dass sie schlecht singe.
Um sich selbst von diesem Nicht-perfekt–Sein zu entlasten, suchte sie sich eine ehrenhafte Arbeit und faltete in Demut liturgische Gewänder zusammen. Rückblickend bezeichnete sie diese vordergründige demütige Haltung als falsche Demut, da nicht aus einer inneren Freiheit, sondern aus einem inneren Mangel heraus entstanden. Teresa ist die Entlarvung dieser falschen Demut ein Anliegen, denn das immer scheinbar Nichtgenügen wird zum Hindernis für eine vertrauende Jesus-Freundschaft. Statt sich ihm anzuvertrauen, schämt sie sich über Jahre für ihre Unvollkommenheit und die ihm zugefügten Beleidigungen. Sie fühlte sich dieser Freundschaft unwürdig.
Das Sympathisch-Sein-Müssen
Teresa muss sehr beliebt gewesen sein. Gott habe ihr die Gnade gegeben, Sympathie hervorzurufen, wo immer sie hinkomme, schreibt sie selber. Doch je mehr sie die Freundschaft zu Jesus vertiefte, desto mehr hinterfragte sie ihre Freundschaften zu Menschen. Sie erkannte, dass ihre ausserordentliche Beziehungsfähigkeit in ein Beziehungsdilemma führte: Wenn jemand sie mochte und bei ihr auf Gegensympathie stiess, fasste sie eine so grosse Zuneigung, dass sie von dieser Person gedanklich kaum mehr loskam. Sie realisierte, dass sie sich auf der Suche nach Ehre und Glück zu fest vereinnahmen liess – und dass der wahre Antrieb Eigenliebe war. So konnte Jesus nicht mehr seinen gebührenden Platz bei ihr haben.
Teresa berichtet, dass sie in einer Vision die Schönheit des Herrn gesehen habe. Danach konnte niemand mehr sie so faszinieren und in Beschlag nehmen wie Jesus. Diese erfahrene Gottes-Liebe relativierte ihre menschlichen Freundschaften: Von diesem Moment an war es weder Ehre noch Eigenliebe, sondern selbstlose, aus der erlangten inneren Freiheit heraus entspringenden Liebe, mit der sie Menschen begegnete.
Ein anderes, neues Leben
Teresa durchlebte immer wieder zermürbende Phasen. Bis sie 1554 beim Anblick einer kleinen Darstellung des Gekreuzigten mit all seinen Wunden überwältigt wurde – sie beschreibt, wie es ihr angesichts des Schmerzensmannes und ihrer Undankbarkeit das Herz zerriss. Von diesem Moment an setzte die damals 39-Jährige ihr ganzes Vertrauen auf Gott. Jesus wurde ihr Orientierungs- und Stützpunkt in ihrem Leben, wurde zu einem Vis-à-vis, zu einem DU. In dieser Liebe entdeckte sie ihre Würde im Bejahen ihrer Stärken und Schwächen, ihrer Talente und Fähigkeiten. Ihr Leben bekam eine neue Qualität. In ihrer Vida bezeichnet sie die Zeit vor dieser tiefen Erfahrung als verlorenes Leben und die Zeit danach als ein anderes, neues Leben. Sie wollte ein „neues Buch“ schreiben. Bis anhin habe sie geschildert, wie sie gelebt habe, in Zukunft aber wolle sie davon künden, wie Gott in ihr lebe und was er bewirke.
Die Kraft zum eigenständigen Handeln, zum Vorantreiben ihrer Reformen und Klostergründungen entsprang einer weiteren prägenden Vision: Sie erlebte, in welche Enge und Bedrückung die Abkehr von Gott führt und verlor dadurch die Angst vor Bedrängnissen und Widersprüchen in der Welt.
Ihre tiefe Jesus-Freundschaft führte sie zur inneren Freiheit. Weder die „honra“ noch die „falsche Demut“ oder das „Symphatisch-Sein-Müssen“ bestimmten fortan ihr Sein – sie wurde frei von der Selbstverfangenheit und frei für das Wirken in der Welt. Oder in ihren Worten: „Der Herr mag mutige Seelen … sofern sie ihren Weg in Demut gehen … so setzt die Seele doch zum Flug an und kommt weit voran, auch wenn sie einem kleinen Vogel gleich, der noch nicht flügge ist – ermüdet und eine Weile verschnauft.“
Für Teresa ist Jesus ein echter Freund, der immer zu sprechen ist und nie versagt. Die Eingangspforte zu dieser Freundschaft ist das innere Gebet: „Denn meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir wissen, dass er uns liebt.“ Wer den Weg des inneren Gebetes geht, wird ein Diener der Liebe werden in der Nachfolge des Herrn, davon ist Teresa fest überzeugt.
So verbleibe ich zum Schluss mit Teresas Hoffnung, dass immer mehr Menschen sich von diesem verständnisvollen Freund verführen lassen. Und mit der Kraft aus dieser Freundschaft, zum Flug für ein Leben in Freundschaft abheben.
Marianne Hayoz
Marianne Hayoz (48) ist Architektin und Mutter von drei Töchtern, die Familie wohnt in Spiez (BE). Schon während ihres Studiums an der ETH Zürich interessierte sie sich für Theologie, später liess sie sich zur Katechetin ausbilden und unterrichtete mehrere Jahre an verschiedenen Stufen, dies mit "grosser Freude", wie sie schreibt. Um ihr theologisches Wissen zu vertiefen, entschied sie sich vor zwei Jahren für den Lehrgang "Christliche Spiritualität" des Lassalle-Hauses und der Universität Fribourg; das Miteinander von theologischem Wissen und spiritueller Praxis gab den Ausschlag. Vor kurzem hat sie den Lehrgang abgeschlossen und sinniert für das Lassalle-Haus noch einmal über ihre Begegnung mit Teresa von Ávila.
Der nächste Lehrgang "Christliche Spiritualität" startet im Juni 2016 (Infoveranstaltung 24. Oktober 2015, aki Zürich, 14-15.30 Uhr).