Teresa von Avila
Aller Heilige!
Teresa von Ávila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. – 8. November die Jubiläums-Tagung Genie der Freundschaft. Das Interesse ist gross, der Anlass ausgebucht.
Wir freuen uns über alle, die mehr über diese grosse Persönlichkeit erfahren wollen und laden Sie ein, mit Teresa durchs Jahr zu gehen. Jeden Monat finden Sie hier einen Impuls dazu – heute den achten von Gerda Riedl, Referentin an unserer Jubiläums-Tagung und Theologie-Professorin an der Universität Augsburg. Ihre Gedanken zu Anastasio und Ángela führen uns zu Allerheiligen, dem Fest, zu dem aller Heiligen gedacht wird – auch jenen, die nicht heilig gesprochen wurden. Anastasio und Ángela? Wo wir doch mehr über Teresa von Ávila erfahren wollen? Lesen Sie Gerda Riedls spannenden Beitrag.
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Anastasio und Ángela
Was für ein Paar! Hier Anastasio, dort Ángela: hier der vereinsamte Intellektuelle, dort die engelgleiche Lichtgestalt; hier der ausgestossene Ordensobere von einst, dort die Heilige und Kirchenlehrerin der Zukunft. Anastasio, Ángela – brieflich benutzte Decknamen zum Schutz vor ordensinterner Gesinnungsschnüffelei. Wie passend, verdankt Anastasio doch den Namen des frühmittelalterlichen Mönchstheologen Anastasius vom Sinai (vor 640 – 700), wohingegen das Pseudonym Ángela auf Leben und Wirken der italienischen Mystikerin Ángela von Foligno (um 1248 – 1309) verweist. Anastasio und Ángela also ein Paar? Ja, jedenfalls hinsichtlich ihrer gemeinsamen Überzeugung von der rechten, mehr humanistisch denn rigoristischen Gestaltung des Ordenslebens unbeschuhter Karmeliten und Karmelitinnen des 16. Jahrhunderts.
Ja, Doña Teresa de Ahumada (1515 – 1582), besser bekannt als Teresa von Ávila bzw. Teresa de Jesús, und Jerónimo Gracián bzw. Jerónimo de la Madre de Dios (1545 – 1614) bildeten ein Paar. Und das sollte üble Nachrede hervorrufen – in beinahe jeder Beziehung.
Die Männer missionieren mit Hilfe von Wissenschaft, die Frauen durch inständiges Gebet
Dabei klang beider Ordensideal – jedenfalls für heutige Ohren – durchaus verlockend: Gracián formuliert es in seiner Autobiographie Peregrinación de Anastasio (hg. Juan Luis Astigarraga, Rom 2001), gemünzt auf die Charaktereigenschaften Teresas. So war und verhielt sich Teresa, so sollte jeder Karmelit, jede Karmelitin sich verhalten! Für den reformierten Orden hiess dies vor allem, Acht zu geben auf die Ausgewogenheit von missionarischer Tätigkeit und spiritueller Erfahrung. Gracián schreibt: "Die Ursprünge (des ursprünglichen Ordenslebens) umfassten beide Ziele gleichermassen, den Missionseifer und die Ruhe des Geistes, Predigt und asketisches Leben, Gottes- und Nächstenliebe, Gebet und Seelenführung" (Übs. nach Erika Lorenz: "Nicht alle Nonnen dürfen das", Teresa von Avila und Pater Gracián – die Geschichte einer grossen Begegnung. Freiburg u.a. 1983, S. 26).
Für die beiden Zweige des reformierten Karmelitenordens konnte dementsprechend gelten: Die Männer missionieren mit Hilfe von Wissenschaft und Überzeugungskraft, die Frauen durch inständiges Gebet und das Beispiel eines geheiligten Lebens die Frauen. Nur Teresa – Teresa billigte Gracián beides zu:
"Tugend ist immer mit Mass verbunden, Extreme werden zu Lastern. Busse z. B. ist eine Tugend, aber nur, wenn sie massvoll und vernünftig vollzogen wird, sonst schadet sie schuldhaft der Gesundheit. So ist es auch mit den anderen Tugenden. Ich habe niemals so viel Mass und Ordnung gesehen, wie bei der heiligen Mutter Teresa, im Denken wie im Tun, im Sein wie im Reden. So glühend, leidenschaftlich und hingegeben sie auch Gott diente, besass sie doch Augenmass und rechtes Gespür. Sie vollzog alles wohl geordnet und unaufdringlich mit überlegener Klugheit, nachdem sie sich, um sicherzugehen, gründlich informiert und beraten hatte. Nur in der Gottesliebe, die weder Mass noch Grenzen kennt, wie wir bei Esra lesen, liess sie ihrem Geist die Zügel schiessen und entflammte ihr Herz nicht im Verborgenen, sondern setzte es auf einen Leuchter, um allen Licht zu geben. Sie war voller Missionseifer, jedoch gemässigt durch Kontemplation und innere Sammlung. Sie führte und lehrte ein hartes asketisches Leben, aber sie mass es ihren Töchtern mit Barmherzigkeit zu, so dass es kein Ungleichgewicht gab. Mit dieser Ausgewogenheit erhielt sie sich stark und gesegnet und gründete ihre wohlgeordneten Klöster. (...) Denn Teresa vereinte zwei entgegengesetzte Seiten: Sie versäumte keine ihrer vielen Pflichten und Arbeiten, die ihr durch die Klostergründungen und Leitung der Nonnen auferlegt waren, auch fand man sie stets pünktlich in der Kirche zu Stundengebet und gemeinsamem Gotteslob. Dennoch war sie eine tief verinnerlichte Einsiedlerin, die ständig in der Gegenwart Gottes lebte. Sie bewies und verherrlichte diese Gegenwart, indem sie unermüdlich reiste und gründete, Verhandlungen führte und Verbindungen herstellte, damit viele Seelen für Gott gewonnen werden konnten. Mit Recht kann man die heilige Mutter Teresa eine Königin nennen, denn ihr Geist war so gross und königlich nur auf das gerichtet, was Gott betrifft, dass sie sich über alles Kleinliche hinwegsetzte und, statt ängstlich zu sein, allen das Kreuzesbanner der Nachfolge Christi vorantrug." (Übs. nach Erika Lorenz, S. 26 f.)
Zur Heiligkeit sind wir alle unterwegs
Nun ist nicht jede von uns eine heilige Teresa, nicht jeder ein Pater Gracián! Aber den Anregungen der reformierten karmelitischen Ordensregel zu folgen versuchen, das kann jede und jeder. Eigentlich klingt es ganz einfach und verbirgt sich in den letzten Worten der Beschreibung heiligen Lebens des Paters Gracián: Nachfolge Christi lautet das Losungswort! Wer sich darum aufrichtig bemüht und sich ein Beispiel nimmt an der neutestamentlich verbürgten Jesusgestalt – gerne auch in der oben zitierten Fassung Graciáns –, der darf sich durchaus einen Heiligen nennen lassen. Keine Häresie! So hält es doch schon der Apostel Paulus: "Paulus, durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu, und der Bruder Sosthenes an die Kirche Gottes, die in Korinth ist, – an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns." (1 Kor 1,1 f.)
Nur beachte man eines: Heilig darf man sich nennen lassen, nicht aber sich selbst eigenmächtig zu einem Heiligen erklären. Heiligkeit ist keine Leistung, sondern ein Geschenk! Zur Heiligkeit sind wir alle unterwegs. Ja, mehr noch: Die Zahl der tatsächlich Heiligen dürfte die Zahl der heilig gesprochenen Personen erheblich übersteigen.
Gracián, vom Orden ausgeschlossen
Ein Blick auf Anastasio und Ángela legt das nahe: Da erlebt der greise Anastasio alias Gracián die Seligsprechung seiner tief verehrten Mutter Teresa alias Ángela (April 1614), der er zeitlebens eng verbunden geblieben war, während er selbst, vom Papst rehabilitiert, vom Orden aber ausgeschlossen wenig später stirbt. War er weniger heilig gewesen? Man urteile selbst. Kurz vor seinem Tod schrieb er jedenfalls den folgenden Satz: "Es genügt zu sagen, dass die Mutter Teresa mich beriet, ermutigte und tröstete, dann mag der Rest ruhig Schweigen sein.“ (Übs. nach Erika Lorenz, S. 155). Man schwieg nicht: Teresa von Ávila avancierte zur aller Heiligen. Diese Entwicklung hätte Pater Gracián sicher getröstet. Dabei erfüllte man ihm noch nicht einmal seinen letzten Wunsch: im Habit der reformierten Karmeliten zu sterben.
Gerda Riedl ist Professorin für Dogmatik an der Universität Augsburg und Leiterin der Abteilung „Glaube und Lehre, Hochschule, Gottesdienst und Liturgie“ am Bischöflichen Ordinariat Augsburg.