Gott finden in allem - sogar im Film
Exerzitien mit Film? Was soll das, wie geht das?
«Im Kino gewesen. Geweint.» überschreiben die beiden Kursleiter Christof Wolf und Franz-Xaver Hiestand ihren Wochenendkurs vom 24.-26. März 2017. Es ist die viel zitierte Tagebuchnotiz von Frank Kafka. Der Prager Schriftsteller schrieb sie am Sonntag, 23. Oktober 1921, nach der Nachmittagsvorstellung des Palästinafilms «Schiwat Zion» (Rückkehr nach Zion). Er muss aufgewühlt gewesen sein, verführt von der Phantasie, doch noch nach Palästina auszuwandern. 1923, gezeichnet von Krankheit, schrieb er: «Ich sah, dass wenn ich irgendwie weiterleben wollte, ich etwas ganz Radikales tun müsste, und wollte nach Palästina fahren.» Kafka kam nicht mehr dazu, ein Jahr später verstarb er knapp 41-jährig.
«Filme können Menschen gefühlsmässig stark anrühren, gar spirituelle Erfahrungen auslösen – nicht zuletzt bei Menschen, welche meinen, nicht mehr glauben zu können», schreiben Christof Wolf und Franz-Xaver Hiestand. Sie wollen in ihrem Exerzitienkurs das spirituelle Potenzial von Filmen freilegen – beide selber passionierte Filmschauer, Christof Wolf gar Filmemacher mit eigener Produktionsfirma. Lesen Sie im Folgenden, wie ausgerechnet er als Jesuit zum Filmemacher wurde. Die Jesuiten Wolf und Hiestand weilen in diesem Jahr ein zweites Mal für Film-Exerzitien im Lassalle-Haus: vom 8.-14. Oktober 2017 laden sie ein zu sechstägigen Vertiefungs- und Besinnungstage mit Film ein - ein Kurs ganz im Schweigen.
Christof Wolf: ein Jesuit, der Filme macht
"Wenn mir jemand 1986 vorausgesagt hätte, Du wirst einmal Filme machen und das weltweit, hätte ich ihn wohl für verrückt erklärt. Im selben Jahr habe ich meine Berufsausbildung als Schreiner am Theater in Karl-Marx-Stadt in der damaligen DDR angefangen (seit 1990 heisst die Stadt wieder Chemnitz).
Die Arbeit in der Werkstatt war faszinierend, ebenso das Absichern des Proben- und Vorstellungsbetriebes. Hinter der Bühne stehen, gleichzeitig sehen und erleben, was man mit künstlerischem und technischem Einsatz an Illusion, Unterhaltung, Tränen, Lachen, Standing Ovation und auch Buh-Rufen hervorrufen kann. Vielleicht war das eine Art Ur-Erfahrung für mich, was für das Filmemachen ja entscheidend ist: sich auf beiden Seiten, vor und hinter der Kamera sicher bewegen zu können.
Ignatianischen Gebetsweise ist wie ein Film
Als ich später Jesuit wurde, war ich überrascht, dass es so etwas wie «Jesuitentheater» gab. Warum haben Jesuiten Theater gemacht und sogar im 16. und 17. Jahrhundert Theatergeschichte geschrieben? Das für mich Überraschende: weil sie mit allen Sinnen zu beten gelernt haben. Der Aufbau der ignatianischen Gebetsweise ist wie ein klassisches Drama oder ein Film. Im ersten Schritt bereitet man den Schauplatz. Je nach Bibelstelle entsteht ein inneres Bild. Was sehe ich auf der Bühne, was zeigt die Kamera in der Szene? Beten ist in Dialog treten mit Gott, mit Jesus. Ich formuliere, was ich wirklich in dieser Zeit des Gebets von Gott, von Jesus geschenkt haben möchte. Das Bühnenbild oder das Filmset ist bereits fertig aufgebaut, nun betrachte ich, was und wer auf der Bühne oder in der Szene zu sehen ist. Was sagen die Schauspielerinnen, Schauspieler? Den Worten folgen Taten. Das ist der letzte Schritt im Drama. Die Geschichte beginnt sich zu entfalten. Welche Rolle spiele ich?
Nach der Gebetszeit schlägt Ignatius eine kurze Reflexion vor. Jede Gebets-Übung endet mit einem inneren Gespräch. Ich schaue zurück auf die Zeit des Gebets und formuliere, was mich in meinem Herzen bewegt – so, als ob ich zu einer guten Freundin, einem guten Freund spreche. Was waren trostreiche oder weniger trostreiche Erfahrungen im Gebet? Diese Struktur hat jeder Jesuit verinnerlicht.
Geschichten spüren und einfangen
Der Dramatiker Heiner Müller hat einmal gesagt: «Mich interessiert nicht, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern wie sie abläuft.» Bevor man anfängt, Filme zu machen, versucht man, deren innere Struktur und Wirkung zu verstehen. So habe ich mich in meiner Ausbildung vier Jahre lang mit Analyse von Dramen und Filmen und deren Geschichte beschäftigt. Als dann die ersten kleinen Handkameras während des Studiums zur Verfügung standen (1998), kam wieder der Handwerker in mir durch. Filmemachen ist zunächst ein Handwerk, was man lernen kann. Auch wenn es nicht das Talent ersetzen kann. Ich erinnere mich gut an meine ersten Schritte als Kameramann: wild gezoomt, die Kamera verwackelt, keine brauchbaren Einstellungen, aus der man eine Szene schneiden, eine Geschichte hätte erzählen können. Wenn ich heute eine digitale 35mm-Filmkamera in Händen halte, so hat sich zwar die Technik geändert, nicht aber die Fähigkeit, Bilder und Geschichten zu spüren und einzufangen.
Die verborgenen Türen unserer Seele
Seit 2006 haben wir Jesuiten eine Filmproduktionsfirma: Loyola Productions Munich. Wir produzieren Dokumentarfilme, Dokumentationen, Imagefilme und auch Kinowerbung, etwa für Film- Exerzitien, die ich zusammen mit Schweizer Mitbrüdern gebe (www.film-exerzitien.org).
Warum ich als Jesuit Filme mache und Filmexerzitien gebe? So wie die Jesuiten damals ihre Zeit mit dem Massenmedium Theater gestaltet haben, so können wir heute in der Zeit des Bildes auch unserer Gesellschaft die Frohe Botschaft Jesu mit Hilfe von bewegten Bildern erzählen und Menschen begeistern. Bewegte Bilder zeigen nicht nur Gottes Wirken in dieser Welt, sie berühren Menschen ganz besonders. Manchmal öffnen sie die verborgenen Türen unserer Seele, sie ermutigen uns zum Aufbruch zum neuen Leben.»
Christof Wolf SJ