Interview mit Prof. Dr. Christine Büchner
«Manche fühlen sich von Eckharts Texten im Innersten verstanden»
Dr. Christine Büchner ist Prof. und Leiterin des Instituts für Kath. Theologie und stv. Direktorin der Akademie der Weltreligionen in Hamburg. Sie wirkt im Vorstand der Meister-Eckhart-Gesellschaft mit.
Im Rahmen der Meister Eckhart Tagung vom 31.10. - 3.11.2019 im Lassalle-Haus hält sie ein Referat zum Thema «Unsicherheit wagen – Zur Bedeutung des Denkens von Meister Eckhart heute».
Frau Büchner, warum ist Meister Eckhart heute noch so relevant?
Wir leben in einer immer mehr von Unsicherheit geprägten Zeit. Die Lektüre Meister Eckharts übt m.E. ein, mit Unsicherheit umzugehen und sie nicht mit vermeintlich gewissen Antworten lahmzulegen. Eckharts Überlegungen zeigen, dass das, was uns und das Leben ausmacht, viel tiefer, andersartiger und verflochtener ist als das, was wir davon erkennen können. Wenn wir das nicht beachten, verhindern wir Erkenntnis, die dem Leben als Leben gerecht wird. Das ist eine Einsicht, die Meister Eckhart zu einem relevanten Gesprächspartner macht innerhalb der gesellschaftlichen und religiösen Transformations- und Pluralisierungsprozesse, in denen wir stehen.
Zu seiner Zeit ist Meister Eckhart angeeckt – sogar im eigenen Orden. War er seiner Zeit voraus?
Sicher ist Meister Eckhart in seiner Zeit zu Einsichten und vor allem Wortlauten gelangt, die Gewohntes infrage stellten und daher von vielen in seinem Umfeld erst einmal abgelehnt und sogar verurteilt wurden. So ist es ja vielen Menschen mit neuen Ideen ergangen – und zwar je mehr, desto mehr mit diesen Ideen auch bestehende Machtverhältnisse ins Wanken infrage gestellt wurden. Sie polarisieren - prominentes Beispiel: Jesus von Nazaret - und zwar nicht nur zu damaligen Zeiten, sondern – mutatis mutandis – auch heute: Manche fühlen sich von Eckharts Texten im Innersten verstanden, anderes sehen sich vor allem zu Kritik herausgefordert.
Was fasziniert Sie persönlich an ihm?
Das gewaltige Werk Eckharts gibt uns unglaublich viel zu denken auf. Ganz zu Anfang meines Studiums habe ich seine berühmte Armutspredigt gelesen und war davon fasziniert. Ich konnte das Gelesene drehen und wenden, wie ich wollte, und kam nicht an ein Ende damit. So geht es mir eigentlich mit seinen Texten bis heute. Sie ziehen einen in die eigene Suche hinein und lassen einen nicht in Ruhe.
Wenn Sie Meister Eckhart begegnen könnten, was würden Sie ihn fragen?
Ich würde ihn fragen, wie er zu seiner so konsequent vertretenen befreienden, man könnte fast sagen „entspannten“, Theologie kam. Hatte er eine entscheidende Gotteserfahrung? Oder hat sich ihm das allein von der inneren Logik des christlichen Glaubens her nahegelegt?
Eines Ihrer Lieblingszitate lautet «Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich». Warum gefällt Ihnen dieses Zitat besonders?
Das Zitat steht exemplarisch für das, was ich gerade eine «entspannte» Theologie genannt habe. Man kann sie auch mit einem Begriff Eckharts selbst eine «gelassene» Theologie nennen. Für den, der sich nicht mehr um sich selbst sorgt, übernimmt Gott die Sorge genauso wie für sich selbst; würde er das nicht tun, so führt Eckhart an derselben Stelle weiter aus, wäre er nicht Gott. D.h. für das Gottsein Gottes ist es charakteristisch, dass darauf verzichtet, einen Unterschied zu machen zwischen sich und anderen. Und wenn bzw. weil Gott dies tut, dann könnten wir es eigentlich auch. Damit ist m.E. der Kern der Botschaft Jesu vom Reich Gottes getroffen: davon, wie es sein kann, wenn wir darauf verzichten würden exklusiv «für uns» zu wollen.