Geduld und Auferstehung
Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.
Rainer Maria Rilke
Diese Zeilen von Rilke haben mich getröstet in diesen Wochen, da wir versuchen eine dritte Welle der Pandemie abzuwenden: Warum dauert es so lange? Wie wird die neue Normalität aussehen, die wir erwarten? Es braucht Geduld. Wir müssen alle Fragen leben und können die unangenehmen nicht einfach ausblenden.
Vielleicht ging es den Jüngerinnen und Jüngern ähnlich, die die Auferstehungsbotschaft von ihren Vertrauten gehört hatten. Stimmt diese Botschaft denn? Wann wird uns der Auferstandene begegnen. Und wie wird sich unser Alltag im Licht des Auferstandenen verändern?
„Als gerade die Sonne aufging“, so beginnt der Auferstehungbericht im Markus Evangelium. Vielleicht ist es das Bild der Morgenröte, das uns Wesentliches über Ostern sagt. In der Morgenröte, am Beginn des dritten Tages, machen sich die Frauen auf, um zum Grab zu eilen. Das Bild des anbrechenden Tages ist in den Auferstehungsberichten der Evangelien ein Bild für das endlich hereinbrechende Reich Gottes. Noch ist der Auferstandene nicht erschienen und doch verheisst der neue Tag eine Zuversicht, die noch nicht von unseren Erfahrungen gedeckt werden kann.
„Als gerade die Sonne aufging“, vielleicht können uns diese Anfangszeilen auch einstimmen auf eine neue Zeit, die anbrechen will nach den nicht enden wollenden Einschränkungen der Pandemie. Gerade auch jetzt, wo wir diese Zeit noch gar nicht richtig ermessen können.
Und was wäre das charakteristische einer neuen, anbrechenden Zeit nach den Osterberichten? Vielleicht geben uns die Auferstehungserzählungen Hinweise für unsere nahe Zukunft?
Vielleicht sind es diese drei: „Habt keine Angst“, lautet die Einladung des Engel in der Grabeshöhle, der die überraschten Frauen begrüsst. „Habt keine Angst!“ Nur ein angstfreier Blick in die Zukunft wird auch uns die neuen Lebenswege erkennen lassen. Es braucht ein Vertrauen in diese neue Wirklichkeit, die beginnt anzubrechen.
„Jesus wird Euch vorausgehen nach Galiläa“, lautet ein weiterer Hinweis des Engels. Galiläa war die Heimat der Jünger. Galiläa steht für den Alltag. Jeder Neuaufbruch beginnt nicht in einer fernen Welt, sondern in unserer vertrauten Umgebung.
Schliesslich sendet der Auferstandene die Jüngerinnen und Jüngern aus. „Geht hinaus in die ganze Welt“: Auch wir sind Gesandte und haben einen Auftrag und sollen nicht vor lauter Sorge um uns kreisen.
Dieser Osterglaube kann uns Kraft geben für alles Schwere, das wir auch erleben. Am Karfreitag haben wir auf das Kreuz geschaut. Wir haben die vielen Kreuze angeschaut, die wir und unsere Mitmenschen tragen. Doch heute dürfen wir nach vorne blicken. Mit Geduld. Und mit unseren ungelösten Fragen. Das Leben siegt, die Liebe siegt. Das ist Ostern.
Tobias Karcher SJ