... und versprengten Kälbern
Von gesprengten Idyllen...
Eine Kutsche in rasanter Fahrt auf einem Alpenpass, eine stoisch grasende Kuhherde am Strassenrand, und ein aufgeschrecktes Kalb, das vor er Kutsche wegzurennen versucht – Rudolf Kollers Bild «Die Gotthardpost» aus dem Jahr 1873 kennt jede/r Schweizer/in. Doch wie vielschichtig das Gemälde wirklich ist, machten erst Peter von Matts Ausführungen am Gönnerfest von vergangenem Samstag deutlich.
Hier stossen einerseits zwei verschiedene Geschwindigkeiten aufeinander, das langsame Kalb wird vermutlich von der schnellen Postkutsche überrollt – so wie heute ältere Leute von der Schnelligkeit der Jungen und deren Technik überrollt werden. Es treffen aber auch zwei verschiedene Welten aufeinander, das Postkartenidyll einer Alpenlandschaft wird durch ein Symbolbild der Öffnung überlagert – schliesslich fährt die Kutsche über den Gotthardpass, verbindet Welten über Grenzen hinweg.
Das Idyll, von dem unser Land noch immer profitiert, geht auf das berühmte Gedicht «Die Alpen» von Albrecht Haller zurück, der die Schweiz als letztes Paradies in den Alpen darstellt, wo die Menschen in einem absoluten Glückszustand leben, naturverbunden und ohne Not. Egal, wie wenig dieser Mythos mit der Wirklichkeit zu tun hat (gerade als er entstand, war das Leben in den Alpen alles andere als idyllisch, geprägt von Not, hoher Kindersterblichkeit, Arbeitslosigkeit, welche die jungen Männer als Söldner auf alle Schlachtfelder Europas drängte…) er ist Teil unserer Identität. Eine Identität, die vom Spannungsbogen lebt zwischen «sich verwurzeln» und «vorwärts gehen», wie jeder Tourist feststellen kann, der im Flughafen Zürich landet und mit der Sky-Metro vom Gate E zum Airport Center fährt: mitten in dieser High-Tech-Kulisse ertönen nämlich Kuhglocken und fröhliches Muhen. Auch dies scheint das Bild von Koller bereits vorwegzunehmen.
Nicht immer idyllisch war hingegen die Wahrnehmung der Jesuiten in der Schweiz in den vergangenen Jahrhunderten – auch hier begab sich Peter von Matt im Gespräch mit Tobias Karcher auf eine literarische Spurensuche. Und stiess auf zwei gegensätzliche Darstellungen der Zeitgenossen Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf. Während Keller in der ersten Fassung des «Grünen Heinrichs» die Jesuiten als Inbegriff des Bösen darstellte, näherte sich sein Erzfeind Gotthelf mit einer Inkognito-Reportage aus einem jesuitischen Gottesdienst unvoreingenommen dem «Unbekannten».
Die passende musikalische Untermalung zum Thema Idylle und Fortschritt bot die Gruppe «Gäzig», bestehend aus der Jodlerin und Geigerin Christine Lauterburg, Hans Kennel und Regina Steiner an der Trompete und dem Büchel (einer «handlicheren» Variante des Alphorns). Der musikalische Bogen spannte sich von der traditionellen zur neueren Volksmusik mit einem Schuss Jazz.
Nach der abwechslungsreichen Matinee, die Geist und Herz gleichermassen beanspruchte, bot ein vielfältiges Häppchen-Buffet etwas für die Augen und für den Gaumen und rundete so ein gelungenes 40. Gönnerfest ab.