03.06.2013 11:01
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Blick zurück nach 100 Tagen als Bildungsleiter

Und - gut eingelebt?

Wann immer mir diese Frage in den letzten dreieinhalb Monaten seit meinem Beginn im Lassalle-Haus (1. Februar 2013) gestellt wurde, spürte ich in den Worten meines Gegenübers durchwegs Wohlwollen. Wenn ich meinem entschiedenen «Nein!» die Erklärung beifüge: «frag mich in einem Jahr wieder», ernte ich auch dafür ein verständnisvolles Nicken. In einem doch recht grossen und komplexen Betrieb wie diesem Haus braucht es länger, bis jemand sagen kann: «Ich habe mich eingelebt». In meinem Fall sicherlich so lange, wie die Planung und Durchführung eines Jahresprogramms dauert.
Nichtsdestoweniger gratulierte mir neulich ein Jesuiten-Mitbruder mit einem vielsagenden Lächeln zu meinen ersten 100 Tagen und schickte mir umgehend per Mail eine Erklärung, was unter einer «100-Tage-Frist»zu verstehen sei. Diese Zeitspanne sei sozusagen eine ungeschriebenes «Stillhalteabkommen» und werde im politischen Tagesgeschehen einem neuen Amtsinhaber von der Presse eingeräumt, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Danach komme es zu einer ersten Bewertung.

Frage nach Erfolg
Nun – «Erfolg ist keiner der Namen Gottes.» Dieser Satz des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber spricht mir eigentlich aus dem Herzen. Bildungsarbeit und Seelsorge sollen letztlich zweckfrei bleiben und nicht dem Diktat von Wirtschaftlichkeit und Erfolgsdenken unterworfen sein. Der Mensch und sein Wachstum, welches kaum nach quantitativen Massstäben beurteilt werden kann, sollen im Mittelpunkt meiner Arbeit als Bildungsleiter stehen. Auf der anderen Seite soll das Diktum von Buber an dieser Stelle nicht als Plattitüde oder Ausweichmanöver dienen. Jeder Erfolg ist letztlich ein Geschenk. Deshalb will ich gerne darlegen, was mir in den letzten Monaten als gelungen erscheint, und wo ich die Schwerpunkte meiner Arbeit im Lassalle-Haus vor allem sehe.

Gutes Team – guter Start
Mich freut besonders, dass ich in diesem guten Vierteljahr im Team des Hauses mit viel Offenheit und Vertrauen aufgenommen worden bin. Es wird sogar mein Humor verstanden, und wir lachen viel und herzhaft. Ein grosses Geschenk ist auch meine Zusammenarbeit mit Tobias Karcher SJ, der mir – auch dann, wenn ich bei meinem Einstieg und den immer neu sich stellenden Fragen manchmal «im Schilf stehe oder im Nebel tappe» – kollegial entgegenkommt und sehr offen ist für neue Ideen. Ich spüre, dass ich mit meinem Hintergrund und auch den Erfahrungen, welche ich von der Universitätsseelsorge in Basel mitbringe, gehört werde und willkommen bin.
Obwohl die Bildungsarbeit ein grosses Mass an Wachsamkeit und Sorgfalt verlangt, übernehme ich ein gut gepflegtes Erbe von meinen Vorgängern und all den Menschen, welche mit ihrem Einsatz dieses Haus und seine Ausrichtung geprägt haben. Grosse Freude bereitet mir die Begegnung und das Kennenlernen einer ganz wichtigen Personengruppe in unserem Haus, den Kursleitenden. Auch da sind schon interessante Verbindungen entstanden.
Schwerpunktmässig bin ich mit der Jahresprogramm-Planung 2014 beschäftigt – eine recht grosse Fülle an neuen Informationen und Koordinaten gilt es dabei im Blick zu behalten, zu beurteilen, zu koordinieren. Beträchtliche «Email-Berge» sind zu bewältigen, wobei mir das Erklimmen realer Berge bislang doch leichter fallen will. Mit der Hilfe von vielen guten und erfahrenen Händen kommt jedoch wieder ein sehr gutes Programm 2014 zustande.
Inhaltlich war ich bisher vor allem bei der Gestaltung von Exerzitien und Gottesdiensten tätig. Ich glaube, die stille Begeisterung, die ich dabei empfinde, bleibt bei unseren BesucherInnen nicht unbemerkt und wirkt bisweilen auch ansteckend.

«Herzstück» Dialog
Für mich ist es ein zentrales Anliegen, dass der Dialog mit anderen spirituellen Traditionen, Religionen und Kulturen zum «Herzstück» des Lassalle-Hauses gehört. Jede und jeder ist eingeladen, auf dem Hintergrund der eigenen, religiösen Tradition in das Gespräch mit dem und der Anderen einzutreten. In der Begegnung mit dem Gegenüber und dem, was ihn und sie zutiefst bewegt, verstehe ich immer besser, wer ich selber bin, was mich trägt und was ich glaube. Wird das Wagnis eines eigenen, verbindlichen Standpunktes nicht eingegangen, kann der weltanschauliche Dialog nur schwer für beide Seiten bereichernd und identitätsstiftend sein.

Dienst – an wem?
Neben der weiteren Profilierung der vier spirituellen Wege (Zen, Exerzitien, Kontemplation, Yoga), ist es mir unter anderem auch ein wichtiges Anliegen, wie der Kern des christlichen Glaubens sinnbringend an die nächsten Generationen weitergereicht werden kann. Überhaupt – die Frage, wie wir mit unserer Arbeit die jungen Menschen mit ihren Fragen und Sehnsüchten erreichen, soll uns ständig wach- und «auf Trab» halten.
Weiter ist es mir wichtig, angesichts der augenfälligen Brüchigkeit von Beziehungen in unserer Gesellschaft im Lassalle-Haus vielfältige Angebote zur Verfügung zu stellen, durch welche Paare an einer guten und erfüllenden Partnerschaft arbeiten können. Und dabei entdecken können, welche Rolle dabei eine tragfähige Spiritualität für die Pflege und den Erhalt einer Beziehung spielen kann.
Nicht zuletzt bewegt mich die Frage, wie wir mit dem Angebot des Lassalle-Hauses den Menschen eine Hilfe sein können, ihr spirituelles Suchen auch wieder zu «erden». Wie verbindet sich die Spiritualität, will sie nicht ein Kreisen um sich und das eigene Seelengärtlein bleiben, mit den Anliegen einer gerechten Gesellschaft und einem sorgsamen Umgang mit der Schöpfung? Dabei soll uns stets die kritische Selbstvergewisserung aufrütteln: Wie dienen wir mit unserer Arbeit den Ärmsten in unserer Gesellschaft?

Bruno Brantschen SJ
Bildungsleiter Lassalle-Haus

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