Lobpreisen und Chillen
«Wie glaubt die Jugend? Zur Spiritualität der jungen Erwachsenen in der Schweiz»: Thema des Gönnersalons am Sonntag, 21. Februar im Kloster Menzingen
Ich, Generation X, führe meine Tochter, Generation Z, manchmal in leere Kirchen. So können wir Bilder anschauen, Kerzen anzünden, vielleicht die Stimme im weiten Raum testen. Wenn dazu die Sonne durch die gemalten Fensterscheiben scheint, liegt Zauberhaftes in der Luft – ähnlich wie in den Wäldern, meine heiligsten Hallen. In der Schule besucht die Achtjährige neben Religion übrigens Ethik, und ins Yoga wurde sie bereits in der 1. Klasse eingeweiht.
Wer weiss schon, wie die Welt aussieht, wenn mein Girl gleich alt ist wie die heutige Generation Y. «Wie glaubt die Jugend?»: Zur Erörterung dieser Frage hat Jesuit Beat Altenbach ins Kloster Menzingen geladen. Der erfahrene Exerzitienbegleiter, 50, Generation Babyboomer, hat dazu zwei Vertreter der Generation Y eingeladen – auch Digital Natives oder Millennials genannt und zwischen 15 und 35 Jahre alt.
Magdalena Hegglin, 28, arbeitet seit ihrem Philosophie- und Germanistikstudium in einer Buchhandlung in Appenzell und ist Präsidentin von Adoray Schweiz. Die Organisation führt «Lobpreis»-Events durch. Gabriel Müggler, 21, studiert Jus an der Uni Basel und gehört zum Organisationskomitee des Schweizer Weltjugendtages. Weshalb er nicht Theologie gewählt hat? Man könne diese auch in der Freizeit praktizieren, findet Müggler. Sowieso spreche man über Religion und Glauben weniger zwischen Vorlesungen als vielmehr spätabends bei einem Bier.
Hegglin und Müggler nehmen in der ersten Reihe Platz. Beat Altenbach wird von ihren Erfahrungen in seinen einstündigen Vortrag berichten, den er nun vor rund 50 Gönnerinnen und Gönnern des Lassalle-Hauses beginnt. Aufmerksame Stille. Der promovierte Naturwissenschaftler aus Basel startet mit einer Schnitzelbank:
«(…)Hey Omi, rieft do d'Saskia,
blyb cool, um Gottes Wille!
Mir mache doch nur Wörschip,
und gön nochär no go chille.
Denn Jesus sait zu uns,
s'isch krass, voll yysy und modärn,
trotz Pille, Sex und all däm Zügs:
Ich ha dy mega gärn»
Und führt aus: Die Generation Y bewege sich in unterschiedlichsten Erfahrungsräumen. Konzert, Yoga- oder Sportevent, Lobpreisabend, Flash Mob, Wellnessweekend: «Alles ist gut, solange es prickelt.» Morgen darf es gerne auch etwas Neues sein. «Statt Vereinen gehören die jungen Leute heute Netzwerken an», sagt Altenbach. Via Smartphone, Tablet und Computer kommunizieren sie mit verschiedenen Interessensgruppen fast gleichzeitig.
Letztlich, wittert Altenbach, würden all die Geräte vor allem genutzt, um Beziehungen zu managen. Ziel seien konkrete Begegnungen. Dazu zitiert er Philipp Riederle, Autor und preisgekrönter Digital Native: «Wir suchen nach Sinn und Vertrauen, und wir wollen dazugehören. Wir wollen ein Zuhause.» Heimat bedeutet in einer zunehmend komplexen Welt Freunde und Familie.
Über Facebook, Instagram, WhatsApp ist man sehr schnell öffentlich. Auf den Plattformen zeigt man sich im besten Licht – wie alle anderen auch. «In der Masse besteht ein gewisser Originalitätszwang», sagte die Philosophieabsolventin Magdalena Hegglin zuvor. «Zehn Piercings und gefärbte Haare: so what?» Als Gegenbewegung zum Nützlichkeitsdenken unserer Zeit ortet sie eine zur Schau gestellte Nonsens-Kultur. Man könne dies auch Nutzlosigkeitsnischen nennen: Geheimsprachen erfinden, ein paar Stunden Afghanisch lernen etc.
Oft wird der Generation Y vorgeworfen, sie sei oberflächlich, hänge vor Bildschirmen herum. Sie kontert gemäss Beat Altenbach etwa so: «Diese Welt haben wir nicht geschaffen. Ihr habt sie für uns erfunden, und wir müssen damit umgehen.» Mit der Kommunikation via Datenhighways geht ein bedeutender gesellschaftlicher Wandel einher. Denn Multitasking, Try and Error, voll und ganz im Moment, gilt auch für die Arbeitswelt: Die durchschnittliche Länge des Ausharrens in einem unbefriedigenden Arbeitsverhältnis ist von zwei, drei Jahren auf sechs Monate geschrumpft. Wenn der Generation Y etwas nicht passt, fühlt sie sich genügend frei, weiterzuziehen.
Beat Altenbach sieht Probleme auf die Gesellschaft zukommen, wenn sich diese nicht bewusst wird, wie die Jungen ticken. «Sie wollen flache Hierarchien, hinterfragen alles, sagen dem Chef fadengrad, wenn sie auf bestimmte Arbeiten keine Lust haben.» Die Tendenz allerdings könnte bald gebremst werden, wenn Firmen weiter Stellen abbauen.
Flache Strukturen gelten auch für die immaterielle Welt. «Pfarreiräte, Bischöfe, überhaupt das ganze Kirchenwesen: Was soll das alles mit Glauben zu tun haben?», spitzt der angehende Jurist Gabriel Müggler die selbstbewusste Haltung zu. Glauben beruhe mehr auf Beziehungen und Erfahrungen. Nur vor dem wirklich Grossen und Göttlichen entwickelten viele Gleichaltrige Ehrfurcht. Zum Thema blendet Jesuit Beat Altenbach auf der Leinwand die Schlagworte ein: «Beheimatung in der Liturgie, feierlich und sinnlich, mehr Sinne statt Worte, Partizipation, Ehrfurcht vor dem Heiligen, Eucharistische Anbetung.»
Eine entscheidene Frage im Ganzen: Nimmt die Anzahl gläubiger Jugendlicher nun ab oder zu? Die Kirche als eine Auswahlethik unter anderen? Mit Geschenken liessen sich keine Jugendlichen in Kirchen locken, sagt Magdalena Hegglin, ebenso wenig mit pseudo-hippem Vokabular. Man schätze aber Authentizität bei schöner Atmosphäre. Vielleicht wollen die Jungen auch einfach unter sich sein: In Luzern dockt Adoray beispielsweise neben der Hofkirche in der dazugehörigen Kapelle an. Ihre Anlässe, derzeit in 13 Städten in der Schweiz, finden jeweils am Sonntagabend statt. Und aufs Singen und Anbeten folgt zuverlässig das Chillen.
Früher seien sie nach der Kirche am Sonntagmorgen in die Dorfbeiz gegangen, sagt ein Gönner, Generation Veteran am Schluss der Lassalle-Haus-Veranstaltung. Heute chille man halt nach der Zeremonie. Der Vortrag habe ihm die Augen geöffnet, er verstehe das Verhalten seiner fünf Kinder jetzt besser: «Alle schätzen das offene Haus. Es bedeutet ihnen zuverlässige Heimat. Wenn sie dann trotzdem nicht wie vereinbart am nächsten Sonntag auftauchen, dann, weil sie gar nicht mehr so weit planen. Sie leben ganz im Moment. Eine Woche ist für sie extrem weit weg.»
Edith Arnold, 21.02.2016