16.04.2013 15:58
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Im Gespräch mit Christian Rutishauser

Seit Mitte 2012 wohnt und arbeitet P. Christian Rutishauser als Provinzial der Schweizer Jesuiten in Zürich. Reisen führen ihn in die ganze Welt – und gerne immer wieder auch in den Kanton Zug, wo er seit Jahrzehnten mit dem Lassalle-Haus eng verbunden ist.

Der Gubel steht für eine Neuausrichtung in meinem Leben und symbolisiert mein Interesse an der Ökumene», sagt P. Christian Rutishauser. «Ein faszinierender Ort.» Es ist kalt auf dem Menzinger Hausberg. Eisiger Wind und vereinzelte Schneeflocken lassen nichts vom kalendarischen Frühlingsanfang spüren. Der Provinzial der Schweizer Jesuiten (47) schliesst seine Wildlederjacke und lässt den Blick schweifen: vom Kapuzinerkloster auf dem Gubel hinüber zum reformierten Bildungshaus in Kappel am Albis, von der katholischen Innerschweiz zur Linken in den Kanton Zürich zur Rechten. Und mitten im Fadenkreuz zum Lassalle-Haus bei Bad Schönbrunn. «Der Gubel steht mehrfach zwischen zwei Polen – ich mag Grenzen, und deren Überwindung», sagt der oberste Jesuit der Schweiz.
Teil seiner Biographie wurde der Gubel bereits 1988. Nach spiritueller Vertiefung suchend, entdeckte der Theologiestudent damals in Bad Schönbrunn die Ignatianischen Exerzitien. Während 30 Tagen spazierte er jedenTag zur Mittagszeit vom Lassalle-Haus auf den nahen Hügel. «Das war der Anfang meiner bis jetzt über zwanzigjährigen Beziehung zum Jesuitenorden.» 1992 trat er in Innsbruck ins Noviziat der Gesellschaft Jesu ein und wurde 1998 zum Priester geweiht. Ab 2001 weilte er als Bildungsleiter im Lassalle-Haus, von 2007 bis 2009 auch als dessen Direktor. Bis heute hat er, obwohl seit Mitte 2012 als Provinzial am Hirschengraben 74 in Zürich ansässig, sein Zimmer in Bad Schönbrunn behalten. Damit er vor Ort ist, wenn ihn Aufgaben ins Zugerland rufen – und auch ein wenig als Ausgleich im Grünen zum Leben mitten in der City. Eine ideale Verbindung für den Jesuiten, der die Abgeschiedenheit des Lassalle-Hauses genauso mag wie die Aktivitäten der Stadt: «Ich geniesse es, im Zentrum der Schweiz zu leben und schnell und unkompliziert am gesellschaftlichen Leben von Zürich teilzunehmen. Ob Kino, Theater oder Vorträge: Mich interessiert, was die Menschen umtreibt.»
Zwar in St. Gallen von Kapuzinern religiös sozialisiert und damit auch den Kapuzinerinnen vom Gubel spirituell verbunden, fiel der Entscheid für die Gesellschaft Jesu leicht. «Ich habe eine fromme Seele – und die will gepflegt werden. Im Lassalle-Haus fand ich bei den Jesuiten jene tiefe und zeitgemässe Form von Spiritualität, die mich trägt. Hier spürte ich auch die Freude am Dialog mit der Welt und am intellektuellen Diskurs, die ich suchte.» Ein Baum, dessen Wurzeln in der Tiefe fest verankert sind, sagt Christian Rutishauser, kann seine Äste sorglos weit ausbreiten.
Die Nähe zur franziskanischen Spiritualität ist geblieben: «Deshalb freue ich mich, dass unser neuer Papst als Jesuit den Namen Franziskus gewählt hat. Eine sympathische Kombination.» Schon Ignatius von Loyola sei fasziniert gewesen von Franz von Assisi. Bis heute ist beiden Orden das Armutsgelübde zentral. Während die Franziskaner und Kapuziner Besitzlosigkeit jedoch zeichenhaft mit ihrer Kleidung kundtun, leben die Jesuiten sie eher funktional: «Auch wir sammeln keine Güter an. Stattdessen reinvestieren wir unser Geld in unsere Aufgaben und stellen es in den Dienst von sozialen Anliegen, Verkündigungsfragen und Spiritualität.»
Die Wahl zum Provinzial sei für ihn überraschend gekommen, erklärt Christian Rutishauser. Während den kommenden sechs Jahren wird er die inhaltliche Ausrichtung des Ordens mitbestimmen. Seine Schwerpunkte sind Spiritualität, Jugend und interreligiöser Dialog. Anliegen, die ihn seit Jahren begleiten: Als Studentenseelsorger und Leiter des Akademikerhauses in Bern, als prägende Kraft im Lassalle-Haus, als Dozent an zahlreichen Universitäten weltweit sowie als Mitglied verschiedener Kommissionen für interreligiöse Beziehungen.
«Die zentrale Frage, die sich heute stellt, lautet doch: Was ist zeitgenössisches Christsein?» Der Milieukatholizismus jedenfalls mit seinen religiösen Schulen, dem Pfarreileben, konfessionell geprägten Turnvereinen und Zeitungen sei es – wie viele territoriale Prinzipien – nicht mehr. In einer offenen, digitalen, globalisierten Gesellschaft würden neue individualisierte Formen wie Netzwerke, geistliche Zentren und Internetgemeinschaften immer aktueller. «Wir sind mobil und suchen nach undogmatischeren Formen, unseren Glauben zu leben. Kein Wunder, ist Pilgern wieder so aktuell.» In einer modernen Gesellschaft lasse sich auch nicht mehr Christsein ohne Auseinandersetzung mit anderen Religionen und alternativen Lebensentwürfen. «Man kann in einer offenen Welt nur dialogisch leben.»
Christian Rutishauser selbst hat sich längst in die pluralistische Welt eingeschrieben. 2011 verwirklichte er sein friedenspolitisches Pilgerprojekt und wanderte vom Lassalle-Haus nach Jerusalem. Die Pilgerschaft führte selbstverständlich über den Gubel: «Wie schon 1988 bei meine Entschluss, Jesuit zu werden, habe ich auch auf meiner Pilgerreise von hier aus nur noch nach vorne geschaut.»
(Erschienen in: forum Nr. 8 / 2013, Autorin: Pia Stadler)

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